Hier können Kinder rasch Lernerfolge erleben und obendrein jede Menge Selbstbewusstsein tanken. Wie das funktioniert? Dazu ein Interview mit Roy Christian Sinha, dem Leiter der » Hasenschule-Akademie « mit Sitz in Wuppertal.

HERR SINHA, EIN NEST IST EIN BEHAGLICHER ORT. HIER WERDE ICH BESCHÜTZT UND VERSORGT – BIS ICH SELBST FLÜGGE BIN UND BEREIT, DIE WELT ZU EROBERN. DARF ICH MIR IM ÜBERTRAGENEN SINNE AUCH EIN LESENEST ALS EINEN SOLCHEN ORT VORSTELLEN?

 Ja, ganz genau! Ein Lesenest ist rein optisch betrachtet ein gemütlicher Raum zum Wohlfühlen, fast wie ein Wohnzimmer. Inhaltlich geht es darin um die Vermittlung von Lesekompetenz – und zunächst vorrangig um Beziehungsarbeit. Denn die Kinder, die zu uns kommen, sind bereits gescheitert und haben Frust erlebt. Einige sind sehr verschlossen, andere verhaltensauffällig. Vielfach haben sie aus Verzweiflung Strategien entwickelt, um sich um Schulalltag irgendwie über Wasser zu halten. Doch je mehr Textverständnis erforderlich wird, umso schlechter funktionieren ihre Tricks mit der Zeit. Es geht also zunächst darum, die schlechten Gefühle abzustreifen und wieder Lernfreude zu entwickeln.

DIE IDEE VOM LESENEST GEHT JA AUF KATRIN RABANUS ZURÜCK. WAS IST DENN AN DEREN PATENTIERTEN LERNMETHODEN, DIE SIE BEREITS IN DEN 1980ER JAHREN ENTWICKELT HAT, SO BESONDERS?

 Gleich auf den ersten Blick fallen die verwendeten Fingerzeichen auf. Mithilfe dieser Lautgebärden wird das Lesen lernen zu einem systematischen Vorgang. Wer Laute und Buchstaben zuordnen kann, erschließt sich Stück für Stück die Lesekompetenz. In Kleingruppen können wir die Kinder auf ihrem individuellen Niveau abholen und die Aufgaben so gestalten, dass sich sofort Lernerfolg und Bestätigung einstellt. Die Kinder gehen freudig und entspannt aus unserem Unterricht. Das wirkt sich nicht zuletzt positiv auf das gesamte Familienleben aus – die meisten Eltern sind mehr als erleichtert, wenn ihr Kind auf einmal anfängt, etwa Leuchtreklamen oder Werbeplakate vorzulesen.

ICH BEOBACHTE GERADE IN DER GRUPPENSTUNDE, DASS DIE KINDER NICHT STILL AM TISCH SITZEN, SONDERN EINE ART PARCOURS ABSOLVIEREN. ALLE PAAR MINUTEN STEHEN SIE VOR IHRER LEHRERIN UND LASSEN IHRE ARBEITSERGEBNISSE ÜBERPRÜFEN, DANN GEHEN SIE MIT IHREM ARBEITSBLATT WEITER VON STATION ZU STATION.

Das ist Teil des Konzeptes. Einerseits prägt sich bei den Kindern ein, dass die Lehrperson immer wieder ganz individuell für sie allein da ist und auf sie eingeht – und gleichzeitig machen sie die Erfahrung, dass sie ganz selbstständig lernen und Fortschritte erarbeiten können.

WIE OFT ARBEITEN SIE MIT DEN KINDERN – UND WIE VIELE STUNDEN SIND INSGESAMT NÖTIG, BIS DIE KINDER DIE DEFIZITE AUFGEHOLT HABEN?

Die Arbeit ist intensiv, die Kinder kommen zweimal wöchentlich. Für eine grundlegende Alphabetisierung sind 80 Unterrichtsstunden vorgesehen, nach acht bis zwölf Monaten können alle Teilnehmenden grundlegend lesen.